Der Verein Minergie feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Jubiläum. Prof. Dietrich Schwarz schaut zurück, was er erreicht hat und was er kritisch betrachtet.

Seit 2013 sind Sie im Vorstand von Minergie – als erster Architekt. Was war Ihre Motivation dazu? Hatten Sie einen «Weckruf»? 

Nein, es lief umgekehrt. Ich durfte anlässlich der Aufrichte unseres damaligen Grossprojekts in Mellingen, der ersten Minergie-P-A-Eco-Siedlung der Schweiz, eine Ansprache halten. Offenbar hat sie den damaligen Geschäftsführer von Minergie dermassen überzeugt, dass er mich als Architekten für den Vorstand vorgeschlagen hat.

Was ist Ihr ganz persönliches Ziel, das Sie als Vorstandsmitglied des Vereins Minergie erreichen wollen? 

Einerseits muss man als Architekt alle Themen der Nachhaltigkeit im Überblick behalten. Gleichzeitig soll Minergie als Standard aber ein Label bleiben, welches sich auf die Aspekte der Energie, der Ressourcen und davon abgeleitet auch des Komforts fokussiert. Ich setze mich immer für eine praktikable Vereinfachung des Standards ein, insbesondere bei den Sanierungen, wie im vorliegenden Fall. 

Sie sagten damals bei der Wahl, es hätte vor der Lancierung von Minergie in dem Bereich ein ziemliches Durcheinander geherrscht, bei dem höchstens die Avantgarde durchblickte. Wie sieht das heute aus? 

Der grösste Verdienst von Minergie ist, dass heute ein Bauherr bei einem nach Minergie zertifizierten Gebäude eine hohe Sicherheit bezüglich Energieeffizienz und Qualität erhält. Mit anderen Worten, man kauft ein Haus, in dem drinsteckt, was draufsteht. Eine nachvollziehbare Deklaration – das schafft Vertrauen. 

Wo sehen Sie die Stärken von Minergie?

Eine grosse Stärke ist sicher nach wie vor die relativ einfache und nachvollziehbare Struktur von Minergie. Aber auch, dass sie dem Namen entsprechend vor allem auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien fokussiert und damit glaubwürdig bleibt. Neu wird ein einfaches Modul «MQS Bau und MQS Betrieb» für die Qualitätssicherung angeboten. Sicher ein Element, das Vertrauen und Glaubwürdigkeit schafft.

Prof. Dietrich Schwarz, Dipl. Architekt ETH/SIA
Mit Minergie kauft man ein Haus, in dem drinsteckt, was draufsteht. Prof. Dietrich Schwarz, Dipl. Architekt ETH/SIA

Welche Schwächen sehen Sie? 

Es wird schwierig, wenn von einem Standard etwas erwartet wird, das er nicht erfüllen kann. Der Minergie-Standard definiert Zielwerte, aber nicht den Weg, wie diese zu erreichen sind. Man kann nun vorhalten, dass die Zielwerte einschränkend sind. Oder auf der anderen Seite beklagen, dass die Zielwerte zu wenig auf Qualität ausgerichtet sind. 

Was würden Sie auf der Stelle ändern, wenn Sie alleine entscheiden könnten? 

Ich würde in der Sanierung einfachere Lüftungslösungen mit kontrollierten Abluftwärmepumpen zulassen. Diese entziehen dem Raum, dem Haus bzw. dem Gebäude die Raumluft (20 °C) und nutzen diese Wärme gleich wieder für die Heizung. Damit kein Unterdruck entsteht, wird in den Räumen ein Nachströmventil in die Aussenwand eingebaut, durch das die frische Luft nachströmen kann. Die alte Luft wird also über die Abluftwärmepumpe abgeführt, dabei wird die Wärme entzogen und die frische Luft gelangt über Öffnungen in der Fassade wieder ins Gebäude. Mit dieser einfachen Lösung könnte man die Wohnungslüftung mitsanieren, ohne Lüftungsrohre für die horizontale Luftverteilung in den Wohnungen verbauen zu müssen.

Saniertes Forschungsgebäude in Birmensdorf mit Mitarbeitenden unter Sonnenschirmen im Innenhof bei der Mittagspause im Sommer
Beispiel einer gelungenen Minergie-A-P-Eco-Sanierung eines Forschungsgebäudes in Birmensdorf
Forschungslabor WSL mit Mitarbeitendem bei der Arbeit
Trotz mehr Arbeitsplätzen ohne höheren Energieverbrauch
Korridor in ausgebautem obersten Stock mit sichtbaren Frischluftrohren zu den Zimmern
Pragmatisches Belüftungskonzept: Frischluftrohre zu den Zimmern und zentrale Abluftabführung über den Korridor.

Minergie feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Feiern Sie ebenfalls? Was hat Minergie in dieser Zeit für die Schweizer Bevölkerung und Bauwirtschaft erreicht? 

Natürlich feiere ich mit. Feiern sind für eine gesunde Entwicklung wichtig. Man kann innehalten und sich über das Positive bewusst werden und Energie tanken für die Zukunft. Minergie hat durch ihre Glaubwürdigkeit enorm viel Sicherheit für den Bauherrn, die Investoren, aber auch für die Mieter und Konsumenten gebracht. 

Wie gehen Sie in Ihrem Privatleben mit Nachhaltigkeit um? Sind Sie konsequent? 

Ich bin mässig konsequent. Ich lebe in einem Minergie-Haus, wir achten als Familie auf eine Ernährung mit nachhaltigen Produkten. Ich glaube aber, dass es wichtiger ist, sich für das Richtige einzusetzen, als darauf zu achten, keine Fehler zu machen. Dies würde jegliche Lebensfreude abwürgen. 

Wohin geht die Reise von Minergie in Zukunft? 

Minergie hat in jüngster Vergangenheit eine Krise überstanden. Mit den MuKEn2014 musste man sich fragen, ob es Minergie überhaupt noch braucht. Minergie ist zur Überzeugung gekommen, dass es in jeder Zeit eine Avantgarde benötigt, die über den Tellerrand schaut. Als solche sieht sich Minergie und will damit ganz klar die Leadership in der Energiedebatte beibehalten.

Interviewpartner

Prof. Dietrich Schwarz ist Dipl. Architekt ETH/SIA und Verwaltungsrat und Geschäftsführer des gleichnamigen Architekturbüros. Zudem ist er Professor an der Universität Liechtenstein und Vorstandsmitglied von Minergie Schweiz.

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Referenz

Wir haben zusammen mit Dietrich Schwarz Architekten die Sanierung der Gebäude der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL realisiert:

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«20 Jahre Minergie: Eine Einschätzung von Vorstandsmitglied Prof. Dietrich Schwarz»

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