Statt einem windigen Zelt, das den Anforderungen des Theaterbetriebs nicht mehr standhielt, steht in Lausanne nun ein Origami aus Holz, das Max Bill alle Ehre macht.

Theaterpavillon Vidy von aussen
Die Architektur nimmt den Geist von Max Bill auf.

Es war Max Bill, der hier im Lausanner Stadtteil Vidy anlässlich der Landi 64 ein Gebäude entwarf, das entgegen der Planung Schweizer Theatergeschichte schrieb. Statt wie geplant das Gebäude nach der Expo wieder rückzubauen, wurde ihm ein Zelt zur Seite gestellt, um es als Theater von Weltruf bis heute nutzen zu können. Während Max Bills Bau die Kultur des Wandels gut überstanden hat, fiel für das Zelt aus Altersgründen im letzten Jahr der Vorhang. Klar, dass an einem kulturellen Kraftort wie diesem nur ein bühnenreifes Gebäude hingehört, das auch dem Geist der Leistungsschau 1964 gerecht wird. 

Das architektonisch bemerkenswerte Theatergebäude ist in der Tat ein ingenieurwissenschaftliches Vorzeigestück. Denn die Statik der modernen Holzkonstruktion mit einer Spannweite von über 20 Metern kommt ohne Träger und sogar ohne Nägel und Schrauben aus. Eine Premiere. Der Bau erinnert an japanische Origamikunst, die ohne Befestigungsmittel allein durch Falten die Statik bewahrt. Möglich wurde das Kunstwerk durch die Zusammenarbeit des Holzbauunternehmens Blumer-Lehmann AG mit dem Forschungslabor IBOIS der nahen École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL). Die von IBOIS entwickelte und erst an kleineren Modellen getestete Konstruktionstechnik beruht auf einem doppellagigen Faltwerk aus Fünfschichtplatten mit formschlüssigen Holz-Holz-Verbindungen. Zur Überbrückung von Kapazitätsengpässen bei Blumer-Lehmann wurde Renggli für die Vorfertigung der Elemente engagiert. Eine Rolle, die wir bei diesem Meisterstück sehr gerne übernommen haben.

David Riggenbach, Projektverantwortlicher Blumer-Lehmann AG
Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem wir die Platten zum Test ineinandergeschoben haben. Zu meinem grossen Erstaunen klappte alles beim ersten Versuch! David Riggenbach, Projektverantwortlicher Blumer-Lehmann AG

Der Bau dieses Theaterpavillons mit seinen 250 versenkbaren Sitzplätzen, der 14 Meter breiten Bühne und dem 7 Meter hohen Bühnengerüst war an Dramaturgie kaum zu überbieten. Zuerst verzögerte sich die Programmierung der Software, die im Zentrum der wissenschaftlichen Projektbegleitung stand. Ihr Zweck war es, die Konstruktionsdaten von IBOIS mathematisch so zu verarbeiten, dass sie direkt in die CNC-Maschinen der Schilliger Holz AG einfliessen und den millimetergenauen Plattenzuschnitt steuern konnte. Doch dann fing das Drama erst an: «Kaum lief die Software, brannte das Sägewerk von Schilliger ab», erzählt Patrik Egli, Leiter für Elementfertigung bei Renggli. «Zum Glück kam niemand zu Schaden.» 

Der Brand bei Schilliger war ein Riesenschock. Doch entmutigen liessen sich die Beteiligten dadurch nicht. Auch in dieser Notsituation zeigte sich, wie wichtig ein funktionierendes Netzwerk ist. Ein Marktpartner von Schilliger übernahm den Zuschnitt der restlichen Platten, und das Projekt war nach kurzer Zeit wieder auf Kurs Richtung Happy End: «Mit 20 Platten und reinen Holzverbindungen ein tragendes Element zu bauen mit einer Spannweite von über 20 Metern und ohne Träger, das war wahnsinnig und hat mich extrem motiviert », erklärt Patrik Egli.

Ohne Schrauben: Diese Holz-Holz-Zapfenverbindungen halten.
Ohne Schrauben: Diese Holz-Holz-Zapfenverbindungen halten.
Voraussetzung für das doppellagige Faltwerk waren die von der Schilliger Holz AG millimetergenau zugeschnittenen Brettsperrholzplatten.
Voraussetzung für das doppellagige Faltwerk waren die von der Schilliger Holz AG millimetergenau zugeschnittenen Brettsperrholzplatten.

Das Spektakuläre an dieser Konstruktion ist die ausgeklügelte Anordnung der bloss 45 mm dicken Holzwerkstoffplatten, die sich in origamiartigen Dreiecken gegenseitig stabilisieren. Alle Elemente des grau lasierten Holzbaus waren so konzipiert, dass sie sich durch Holz-Holz-Zapfenverbindungen ohne Schrauben zusammenstecken liessen. Die optisch reizvollen Verwinkelungen über den ganzen Bau hinweg sind keine architektonische Spielerei, sondern dienen leichtfüssig der statischen Festigkeit. Die Hohlräume zwischen den Platten fassen Dämmstoffe, die nachträglich über Bohrungen eingeblasen wurden. Damit das auf der Baustelle alles klappte, haben wir in unserer Werkhalle einen Prototyp angefertigt und ein passendes Montagegerüst dafür erstellt. Der poetische Origamipavillon sichert nun während der Renovation des Hauptsaals den unterbruchfreien Theaterbetrieb in Vidy, auch weil die Netzwerkpartner der beteiligten Unternehmen wunderbar zusammengespielt haben.

Das erste Dachelement wird über der Regiebühne platziert.
Das erste Dachelement wird über der Regiebühne platziert.
BauherrschaftThéatre Vidy-Lausanne
ArchitekturYves Weinand architecte
Atelier Cube SA
HolzbauunternehmungBlumer-Lehmann AG
Holzbau-EngineeringBureau d’étude Weinand
PlattenzuschnittSchilliger Holz AG
Balteschwiler AG
Vorfertigung Giebelwände, Dachelemente und PodesteRenggli AG
GebäudeartPavillon
NutzungTheater mit 250 versenkbaren Sitzplätzen
KonstruktionDoppellagiges Faltwerk aus zusammengesteckten, 4,5 Zentimeter dicken fünflagigen Brettsperrholzplatten
Investitionsvolumen2,8 Mio. CHF

Fotos: Ilka Kramer

Kommentare zu
«Was für ein Theater!»

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar